Buchbesprechung von Dr. med. Markus Karutz, Köln:
Martin Ingbert Heigl: Artemis – Eurythmie, Sprachgestaltung und Philosophie der Freiheit
In
diesem Buch fasst der als Sprachgestalter und Heileurythmist im Therapeutikum
Ulm tätige Autor drei unabhängig voneinander verfasste Studien zusammen:
Sprache und Kunst - Eurythmie, Sprachgestaltung und Philosophie der Freiheit
– Ephesos und Patmos.
Man merkt dem Werk an, dass es in einem längeren meditativen Umgang mit
der Thematik entstanden ist und in mehreren Teilschritten entstand. Dabei bemerkt
der Autor selbst, wie er das, was er zunächst mehr gedanklich-innerlich
über das Wesen von Sprache (und der „sichtbaren Sprache“ Eurythmie)
erfasst hat, dann im Äußeren in Patmos, Ephesos und ihrer Beziehung
zu Artemis fand. So wird schon hier ein Grundmotiv angeschlagen, das das ganze
Buch durchzieht: das tätige Von-Innen-Erschaffen und das wahrnehmende Von-Außen-Empfangen
verschmelzen zu einer Einheit.
Der Stil der ersten beiden Studien ist nicht leicht eingängig. In meditativer
Gedankenarbeit kreist der Autor um sein Thema und fordert den Leser dazu auf,
innerlich aktiv mitdenkend mitschöpferisch zu werden.
So ist man unvermerkt mitten darinnen in dem, was der Autor sich als Ziel gesetzt
hat: in einer Zeit, wo der unreflektierte, nachahmende Vollzug des von Steiner
Gegebenen zunehmend nicht mehr trägt, aus eigener innerer Aktivität
einen Weg zu finden zu den schaffenden, bildenden Kräften, die in den neuen
Künsten wirksam sind. Hierbei gilt es, vollbewusst einen Weg der Mitte
zu gehen zwischen dem Erstarren in Konventionen und einer willkürlich-subjektiven
Neuinterpretation der gegebenen Anregungen, wie sie heute hier und da zu beobachten
sind. In eigenständiger Gedankenbildung, die sich gern durch Steiners Angaben
anregen lässt, wird hier ein ernstzunehmender, geglückter Versuch
vorgelegt.
Der Ausgangspunkt für Heigl ist das Wesen des Gespräches als wesentliche Erscheinungsform der Wortkraft. Wie in diesem urbildlich das Schöpferische in einem mittleren zwischen zwei Polen erscheint, so kann das Wesen der Kunst überhaupt und der neuen Künste im Besonderen in solch einem Verbindenden, Vermittelnden gefunden werden. Das geschieht, wenn das, was sonst getrennt in der Welt auftritt, Wahrnehmen und Handeln, bewusst so zur Einheit verschmelzen, dass ein wahrnehmender Wille, ein wollendes Wahrnehmen vom Ich des Menschen aus erübt und erlernt werden. Das wiederum wurde methodisch durch Steiner in der Philosophie der Freiheit zunächst für das Denken, welches sich selbst beobachtet, dargestellt. Die Verwandtschaft zwischen diesem sich selbst beobachtenden Denken, in welchem der Mensch bereits in die Sphäre der ätherischen Wirkenskräfte eintritt, und dem zeitgemäßen Kunstschaffen wird so herausgearbeitet. Das ist dann Grundlage für eine Vielfalt von Gesichtspunkten, die dieses Grundmotiv „verdichten“ und anreichern, Aspekte der Sinneslehre, des eurythmischen Tierkreises, der Physiologie des Kehlkopfes, der Polarität von Kehlkopf und Ohr u.v.m. Dabei geht der Autor bei aller Gedanklichkeit durchaus künstlerisch vor. Die Gedanken werden nicht linear entwickelt, sondern kreisen um ihr Thema und stützen und beleuchten sich gegenseitig und immer wieder muss der Leser selbst nicht ausgeführte Zwischenschritte selbst machen, um im Prozess bleiben zu können.
Hat man die ersten beiden Teil mit einiger innerer Kraftaufwendung erarbeitet, so wird einem im dritten Teil eine wunderbar anschauliche Studie zur Wesenspolarität von Patmos mit seiner salinischen Qualität und dem sulfurischen Ephesos vorgelegt. Im Zusammenwirken dieser irdischen Wirkensorte des Johannes geben sie die Möglichkeit zur Entstehung von Apokalypse und Johannesevangelium. Dass die Inkarnation der Logoskunde so polare, aufeinander bezogene Orte benötigte, wird einleuchten, wenn man die vorangegangenen Ausführungen über das Wesen des Wortes als eines Merkuriellen, eines Mittlers zwischen zwei polaren Phänomenen kennen gelernt hat. So wird aus diesem Aspekt des Logoswirkens eine tief berührender, nicht ausgesprochener, aber im Hintergrund erfahrbarer Aspekt von Sprachgestaltung und Eurythmie als zentral christlicher Kunst erfahrbar. Schön herausgearbeitet wird, wie in Ephesos, dem zentralen Mysterium des Wortes, in dreifacher Weise das Wesen des Hervorbringens, schöpferisch Gestaltens und vermittelnd Ins-Gespräch-Bringens erscheint: leiblich-ätherisch als die Urmutter Kybele, seelisch-ätherisch als die Artemis und geistig-seelisch als Maria. Dass dies der Ort war, wo das Mysteriengeschehen zentral im Gespräch zwischen Schüler und Lehrer real entstand, wird zwar nicht erwähnt, ist aber aus dem Dargestellten sofort ersichtlich, ebenso wie der Bezug zur zweiten Strophe der Grundsteinmeditation. Schließlich wird in liebevoller Detailbetrachtung die Gestalt der Artemis in ihrer Beziehung zu den vier Ätherqualitäten und damit zu der Wirkenssphäre, in der die beiden Künste zunächst angesiedelt sind, erfahrbar.
Wem
kann das Buch ans Herz gelegt werden?
Zunächst überzeugt es als ein ganz eigenständiger Versuch, Grundlagen
für ein Verständnis der Eurythmie und Sprachgestaltung sowie ihrer
inneren Beziehung zueinander zu erarbeiten so, dass sie gerade für den
Nicht-Künstler nachvollziehbar werden. Es ist damit ein Brückenschlag
zwischen einer mehr gedanklichen Welterfassung und einem künstlerischem
Drinnenstehen im Leben versucht und an vielen Punkten gelungen. Damit schafft
es ganz allgemein Gesprächsmöglichkeit zwischen Menschen, die verschiedene
Zugangsmöglichkeiten zur Welt haben. So kann es jedem empfohlen werden,
der sich mit den Grundlagen und Wirkprinzipien der beiden Künsten, aber
auch einer zeitgemäßen Kunstauffassung überhaupt beschäftigen
möchte.
Als Arzt in einem Therapeutikum kann man täglich erleben, wie zentral wichtig
es ist, eine gemeinsame Sprache zu üben zwischen Ärzten, Eurythmisten
und Kunsttherapeuten, wirklich ins Gespräch zu kommen. Dafür kann
dieses Buch eine gute Grundlage sein. Aber auch für den Arzt, der sich
ein tieferes Verständnis für die von ihm verordneten künstlerischen
Therapien bzw. der Heileurythmie erarbeiten möchte, kann dieses Buch hilfreich
sein.
Dr. M. Karutz
Zu dem Buch liegen weitere Rezensionen vor, die hier als PDF-Dateien abgerufen werden können:
Rezension von Lasse Wennerschou (gekürzt im Weihnachtsheft 2006 (Nr. 238) von Anthroposophie - Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland)
Geleitwort von Margarethe Solstad
Rezension von Ursula Steinke (im Rundbrief der Sektion für redende und musikalische Künste)
Rezension von Christian W. Maurer, Sprachgestalter in Berlin, vollständige Fassung (gekürzt in Das Goetheanum, Ostern, 22.3.2008)
Obige Rezension von Dr. med. Markus Karutz, im Druckbild des Merkurstab 2010/1
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