Zunächst einmal ist «Sprachgestaltung» kein Name oder gar geschütztes Markenzeichen für einen besonderen Sprechstil, sondern ein Begriff, der zunächst nichts anderes besagt, als dass die Sprache gestaltet wird. So wird er auch unter Schauspielern oder Rednern angewandt. Wichtig sind nun die Gesichtspunkte, nach denen diese Gestaltung erfolgt. In unserem Alltag sind uns diese meist unbewußt: der Bau von Worten und Sätzen folgt einfach unseren Gedanken. Sehr häufig verwenden wir dabei auch Gewohnheitsfloskeln, die wir gar nicht mehr bedenken. Anders ist es schon, wenn wir einen schwierigen Sachverhalt erklären wollen: da ringen wir um Worte und Wendungen mit denen wir das, was wir innerlich erleben «aus»drücken können. Manchmal lassen wir uns dabei sogar Neuschöpfungen einfallen. Aber auch unsere Gefühle drücken sich über den Tonfall der Sprache unmittelbar aus: es wird sofort hörbar, ob jemand traurig oder fröhlich, mutig oder zaghaft ist. Damit geht man ja bei jeder Art von Schauspielen ständig um. Doch anders als im Alltag, wo das innere Erleben unbeabsichtigt die Sprache gestaltet, läßt das bewußte Gestalten der Sprache sofort Fragen nach der Wahrheit entstehen: mache ich den Zuhörern nur etwas vor? oder erlebe und meine ich wirklich, was ich sage? stülpe ich meine eigene Empfindung auf andere über? oder lasse ich den Zuhörer frei, eigene Gefühle zu entwickeln? Hier wird der Schritt zur Manipulation leicht überschritten: es soll dann etwas Bestimmtes beim Zuhörer erreicht werden. Mit Recht haben viele Menschen heute in dieser Richtung ein feines Empfinden und lehnen eine übertriebene, pathetische Sprechweise ab. Andererseits ist aber ein rein intellektuell-versachlichtes und seelenloses Sprechen oder aber provozierendes Hinausschleudern von Sprach«fetzen» - die der Zuhörer dann erst einmal verdauen muß - sicher auch nicht mehr als eine Zeiterscheinung - sozusagen ein Pendelschlag in die andere Richtung. Wie aber kann mit Sprache so umgegangen werden, dass sie wirklich Seelisches vermitteln kann, ohne dabei den Bereich des Freiheitsempfindens des anderen Menschen zu stören? Nun gehört es ja gerade zum Ureigensten der Sprache, dass sie vermittelnd zwischen den Menschen steht. Hätten nicht ihre Worte neben dem, was sie nur für mich bedeuten, einen allgemeinen Sinn, könnten wir uns nicht verständigen: so knüpft sicher jeder an ein Wort, z.B. «Apfel» andere Vorstellungen, Empfindungen und Erlebnisse - aber trotzdem muß klar sein, dass es nicht um eine Birne geht. Gehen wir aber von den Worten, die alle einen gedanklichen Inhalt haben, zu den kleineren Elementen, den Silben und Lauten über, so können wir finden, dass diese bis auf wenige Ausnahmen (etwa «Ei») nichts bezeichnen - dafür aber einen starken Gefühls- oder auch Willensausdruck haben: Ahhh! Oh! Iiii! Mmmm! Ha! Sch! Psss! P! T-t-t-t - diese Lautäußerungen sagen uns unmittelbar etwas, ohne dass wir darüber erst nachdenken müßten. Laute sind elementar verständlich - und gehören deshalb nicht der gedanklich-gepflegten Ebene unserer Hochsprache an. Will man künstlerisch mit der Sprache umgehen, ist der erste Schritt, sich diesen Elementen der Sprache erlebend gegenüberzustellen: anders als im Alltagssprechen geht es jetzt nicht darum, etwas mit Lauten oder Worten zu sagen, sondern umgekehrt zu lauschen: was sagt mir der Laut? was sagt mir das Wort als Lautgebilde, nicht als Sinnträger? was für eine Gebärde lebt darin? (In der letzten Frage lebt zugleich schon eine Hinführung zur Eurythmie, die diese Gebärden dann mit den Gliedern sichtbar werden läßt) Eine Hilfe, zu erleben, was ein Laut eigentlich «macht», ist auch, sich einmal Worte zu nehmen, die eine Vorsilbe haben: z.B. «ge-» und dann spielerisch zu lauschen: geben - ge-geben, sehen - ge-sehen... oder «be-»: leben - be-leben, nehmen - be-nehmen, raten - be-raten..., «er-»: er-raten, er-leben,... Man kann dann finden, dass es zwar nicht ganz leicht ist, das Gesetzmäßige eines Lautes in Worte zu fassen, - es entzieht sich fortwährend der Definition (d.h. wörtlich: Abgrenzung) - aber eine bestimmte Gebärde ist doch klar erlebbar. Auch Dichter gehen mit Lauten und Lautstimmungen bewußt oder unbewußt um. Übt man länger so (d.h. sprechend und lauschend) an der Sprache, wird sie plastischer und beweglicher. Man kann sie dann als etwas erleben, was im Raum zwischen den Menschen lebt. Dies hat nichts zu tun mit einem verstärkten Artikulieren (etwa vergleichbar dem Muskeltraining), sondern damit, dass das Erleben der Sprache verstärkt wird. In diesem Sinne sprach Rudolf Steiner davon, dass im Schulen der Sprache nicht technisch vorgegangen werden soll, sondern «am Laut das gelernt werde, was zu lernen ist».
(Der folgende Aufsatz ist unabhängig vom vorhergehenden, so dass sich manche Gedankengänge wiederholen.)
Worum geht es bei der Sprachgestaltung? Warum eigentlich muß man Sprache gestalten? Genügt es nicht einfach zu sagen, was man meint?
Im
Alltagssprechen verwenden wir zunächst wenig Aufmerksamkeit darauf, wie
wir sprechen. Es genügt uns, wenn die Sprache unsere Gedanken soweit ausdrückt,
dass der andere sie verstehen kann. Das ändert sich aber sofort, wenn wir
feinere Sachverhalte und insbesondere, wenn wir auch unsere Gefühle ausdrücken
wollen: natürlich könnten wir unser Gegenüber einfach davon informieren,
dass wir Freude oder Hoffnung empfinden. Ganz unbeabsichtigt wird sich eine
Seelenstimmung aber auch über die Stimme ausdrücken.
Noch viel subtiler aber gilt dies für die Welt der Kunst, sei es in Poesie
oder Schauspiel. Dichter verwenden viel Mühe darauf, eigentlich Unsagbares
so zwischen ihren Worten zu verdichten, dass der Leser oder Hörer etwas
davon wieder in seiner Seele erstehen lassen kann. Nicht ein gedanklicher Inhalt
soll ausgedrückt werden, sondern ein Gefühl, eine Empfindung oder
eine Ahnung. So ist für den Dichter neben der Bedeutung seiner Worte deren
Klang- oder Lautgestalt wichtig: er formt so lange an seinen Sätzen, bis
ihn Rhythmus und Melodie überzeugen. Sprachgestaltung möchte insbesondere
der dichterischen Dimension der Sprache wieder Raum erschaffen. Dabei bietet
die Sprache selbst die Mittel zu ihrer Gestaltung und nichts muß von außen
hereingetragen werden: der Sprachrhythmus gibt die Beweglichkeit, die Vokale
geben die Seele und die Konsonanten formen Bilder. Die einzelnen Worte entsprechen
den vielfältigen Erscheinungen der Welt, die sich unseren Sinnen darbieten
und erst durch Sätze können wir sinnvolle Zusammenhänge herstellen.
Das kleine Kind fühlt sich am wohlsten, wenn es in ein Meer von Rhythmen
eintauchen kann. Doch Rhythmen zu sprechen heißt auch den Atem zu gliedern
und die Sprache in ihren einzelnen Silben klar zu unterscheiden. So wird auch
das deutliche Sprechen angelegt. Mit zunehmenden Alter sollte sich die Sprache
auch in den Raum stellen. Wie ist die Richtung von diesem Satz? Von oben nach
unten oder von nah nach weit? Wird etwas umfaßt oder weggestoßen?
So oder ähnlich kann die Fragestellung bei größeren Schülern
sein. Jetzt kann auch bewußt auf die anderen Elemente eingegangen werden:
Ein steigendes Versmaß regt an, befeuert: kurz-lang, kurz-lang, ... "Es
tagt! Es tagt! Der Wächter ruft..." - ein fallendes führt zur
Ruhe: lang-kurz, lang-kurz ...."Tiefe Stille herrscht im Wasser..."
In welcher Klangfärbung oder Vokalstimmung hat der Dichter den Text gestaltet?
Im staunenden A? oder im geheimnisvollen oder auch unheimlichen U? im impulsiven,
ausstrahlenden I oder im liebevoll-bewundernden O? Sind vielleicht mehr die
Konsonanten im Vordergrund? Aus solchen Fragen kann eine Fülle von Differenzierungsmöglichkeiten
erahnbar werden, die schon in den Elementen der Sprache veranlagt sind und weit
über die Möglichkeiten eines bloßen Hervorhebens ("Betonens")
bestimmter Worte hinausgehen. Im Klassenspiel insbesondere der 8. Klasse gilt
es eine weitere Stufe zu erreichen. Schüler und Schülerinnen haben
jetzt die Fähigkeit, eine Rolle innerlich so zu ergreifen, dass sie sie
ganz ausfüllen können und doch immer wissen: ich spiele diese
Rolle nur. Ganz einsteigen zu können in eine Rolle ohne sich selbst zu
vergessen, ist eine wesentliche Erfahrung für Jugendliche in der Zeit der
Erdenreife. Gilt es doch jetzt auch im Leben mehr und mehr die eigene Rolle
zu finden und zu übernehmen - sei es als junger Mann oder junge Frau, im
Beruf oder sonst als unverwechselbare Persönlichkeit - und dennoch über
die Rolle hinaus noch Mensch, Gleicher unter Gleichen, zu bleiben. Sprachlich
bedeutet diese Arbeit ebenfalls ein Finden des Standpunktes: wie spricht ein
bestimmter Charakter? Betont er die Vokale? Oder die Zischlaute? Wie bewegt
er sich dabei? Läßt sich eine Grundgebärde herausfinden? Im
selben Maße, wie zumindest einzelne Sprach- und Bewegungsansätze
klar ausgearbeitet erscheinen, kann sich im Spiel einer 8.Klasse schon etwas
ankündigen, was zu seiner Ausreifung noch einige Jahre Zeit hat und braucht:
ein bewußtes und gestaltendes Darinnenstehen im Lebens- und Weltzusammenhang.
Martin-Ingbert Heigl
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